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Zusammen für Egeln

Egelner Märkte

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Bereits um 1300 hatte der Ort Egeln das Stadtrecht erhalten. „Borgere in de statt to egelen“ ist die Anrede in einem Brief von 1322, „Burmestere, Rathmanne und Schepen“ ist die Anrede in einem weiteren Schriftstück. Grundlage war aber sicher auch das Egelner Marktrecht, das schon 1265 in einer Urkunde erwähnt wird. Der Name „Altemark“ weist sogar auf ein noch älteres Marktrecht hin. Die zentrale Lage des ummauerten Ortes am Knotenpunkt bedeutender Heerstraßen hatte bereits im Mittelalter eine Ausstrahlung auf die umliegenden Dörfer. Der starke Durchgangsverkehr schuf gute Voraussetzungen für Handwerk und Handel; zahlreiche Herbergen und Ausspannstätten erfreuten sich großer Beliebtheit. Besonders zu den drei Jahrmärkten, die mehrere Tage dauerten, kamen viele Menschen nach Egeln. Erwähnt werden sogar Händler aus Leipzig oder Nürnberg, die besondere Waren anboten oder die begehrten Hamsterfelle aufkauften. Noch im Jahr 1815 gingen auf dem Frühjahrsmarkt 150.000 Hamsterfelle über den Ladentisch. Damit der gute Ruf dieser Märkte erhalten blieb und die Stadt durch Standgelder und Umsatz gute Einnahmen hatte, gab es schon frühzeitig eine Marktpolizei oder Probeherren, wie sie in Egeln genannt wurden, die vor der Eröffnung des Marktes Waren prüften und besonders die Maße und Gewichte auswärtiger Händler kontrollierten. Diese vier Probeherren mussten zu den Heiligen schwören, „dass sie recht Gewicht an Fleisch und Brot, rechte Maße an Korn, Bier und Öl und allerlei Kaufmannschaften setzen und halten wollten, sowie es ihnen ihre Sinne, Wissenschaft und Vernunft auswiese, damit niemand in der Stadt Egeln unredliche Dinge treibe“.

Erika Grube hat einmal eine kleine Geschichte geschrieben, wie es vielleicht an einem Markttag vor 500 Jahren in Egeln zuging.

Ganz nahe an der Stadtmauer stand einmal ein ganz winziges, niedriges Häuschen. Darin wohnte ein steinaltes Mütterchen. Im Städtchen nannte man sie die "Kräuterfrau". Kein Mensch wusste, wie alt sie war. Solange man sie kannte, ging sie täglich hinaus ins Bruch oder in den Wald, um Holz und heilsame Kräuter zu sammeln. Aus diesen bereitete sie Tees und Tränklein für die Kranken, denn Apotheken und richtige Ärzte gab es damals noch nicht. Heute, am Abend vor dem Herbstmarkt, war sie ganz besonders fleißig. Ihr Sohn, der "Bader", wollte morgen die Kräuter und Tränklein auf dem Markt verkaufen. Dem Bader oblag es damals, neben "Bart scheren", Haare schneiden, Bäder zu verabreichen, Zähne zu ziehen und Kranke zu behandeln, je nachdem wie geschickt ein Bader war. Bei uns erinnert noch der Straßenname "Badstoben" (Badestuben) an diese Tätigkeit. Die Glocke der Kirche schlug 11 Uhr abends und noch immer standen die Fensterläden des kleinen Häuschens offen. Dicke Rauchschwaden strömten auf die Gasse hinaus. Der Stadtknecht hatte schon seine dritte Runde gemacht und kam soeben wieder an dem Häuschen vorbei. "Immer noch tüchtig in der Hexenküche - was braut und kocht und schmort Ihr denn noch so zu später Stunde, Großmutter?" rief er durchs Fenster. Da ihm die alte Frau keine Antwort gab, stellte er seine Hellebarde an die Hauswand und lehnte sich in die Fensteröffnung hinein. Nur mühsam vermochten seine Augen das rauchige Zimmer zu überschauen, denn der mit Talg gefüllte Lichtnapf auf dem Tisch erhellte die Stube nur dürftig. Unten erblickte er das bloße Erdreich und oben das mit Schilf gedeckte Dach. Neben der alten Schlafstätte stand in der Ecke ein uralter Schrank, worin die Kräuterfrau die gesammelten Kräuter aufbewahrte. Trotz der späten Stunde trippelte das alte Mütterchen in der Stube umher. Sie nahm bald hier einen Topf vom Feuer, goss dort eine Flüssigkeit in bereitstehende Behälter, bald holte sie ein Kraut aus dem Schrank und rührte dann wieder im Kessel. Ihr Kopf bewegte sich ständig, um alles übersehen zu können. Nun hatte sie ein paar Minuten Zeit, keuchend und hustend kam sie an das Fenster. Sie unterhielten sich über den morgigen Marktbeginn. Der Stadtknecht erzählte ihr, dass er heute schon manchen Groschen von fremden Kaufherren erhalten hatte, die schon heute in die Stadt kamen. Immer und immer wieder musste der Torwächter aus seiner Stube, um die mit Planen überspannten Frachtwagen zu untersuchen, denn es konnten ja möglicherweise in dieser unsicheren Zeit Raubritter darunter verborgen sein! Der Domburger soll sich in jüngster Zeit wieder in der hiesigen Gegend herumtreiben! Doch es war alles in Ordnung und nachdem der übliche Zoll gezahlt war, fuhren die schweren Gespanne mit lautem Gepolter über die große Holzbrücke dem Markte zu. Viele Söldner begleiteten die Wagen. Manch guter alter Bekannter war unter ihnen. "Ist es also verwunderlich, wenn sie im Ratskeller Wiedersehen gefeiert haben?" sagte er. "Ich zürne dir ja auch nicht, doch ich muss jetzt schnell noch die Stube in Ordnung bringen, denn morgen kommen meine beiden Enkelkinder zu Besuch aus Kroppenstedt, ich will mit ihnen auf den Markt gehen". Sie reichte ihm zum Abschied die Hand und der wackere Stadtknecht stapfte weiter über das holprige Pflaster dem Halberstädter Tor zu. Der nächste Morgen sah ein buntes, bewegtes Leben auf dem Marktplatz.

Gleich nach dem Gottesdienst wurde die rote Fahne am Rathaus gehisst. Das war das Zeichen zum Marktbeginn. Vor dem Fall des Zeichens war es bei Strafe verboten, Waren zu verkaufen. In allen Straßen und Gassen wimmelte es von Einwohnern und fremden Gästen. Überall lachende und plaudernde Menschen. Schon am frühen Morgen waren Otto und Anna, die beiden Enkelkinder, von einem guten Bekannten gebracht worden. War das ein Jubel in dem kleinen Häuschen an der Stadtmauer. Die Kinder hatten sich das ganze Jahr auf diesen Tag gefreut. Als nun das Mittagessen eingenommen war, konnten die Kinder kaum die Zeit erwarten: „Großmutter, jetzt gehen wir auf den Markt“, riefen sie und sprangen vor Freude rund um den Tisch. Das Leben und Treiben auf dem Markt nahm die Kinder ganz gefangen. Sie wussten nicht, wohin sie zuerst blicken sollten. Jedes freie Plätzchen war von Kramhändlern ausgenutzt worden. „Zuerst wollen wir einmal Onkel Berthold besuchen, er wird sich sehr freuen, wenn er euch sieht“, sagte die Großmutter. „Dort am Brunnen steht er ja“, rief Otto und die Drei bahnten sich einen Weg durch die lärmende Menge.

Onkel Berthold, der Bader und Quacksalber, schien den meisten Zulauf zu haben. Von seinem erhöhten Standort aus rief er eben über den Marktplatz: „Alt zu werden Gottes Gunst, jung zu bleiben Menschen Kunst!“ Auf seinem Schautisch standen eine Unmenge Büchsen, Schachteln und Flaschen. Darauf war zu lesen: Lebenswasser, Wunderpflaster, Stein des Himmels und Höllenstein, gesegnetes Holz, Wundersalz usw. Der Andrang vor seinem Stand war so gewaltig, dass er die Aufträge der Leute kaum erledigen konnte. Ein Bäuerlein aus Etgersleben kaufte für seine brustkranke Frau Fuchslungensaft, ein anderer aus Wolmirsleben erstand ohne Bangen und Grauen „Armsünderfleisch“ (Fleisch von einem Gehenkten), um gegen die Hexen geschützt zu sein. „Jetzt kauft unser Nachbar, der uns mitgebracht hat“, sagte Klein-Anna. Seine Kühe gaben seit einiger Zeit rote Milch. Viele Leute kauften Elefantenläuse, die immer auf der Brust getragen werden mussten. Sie schützten gegen alle möglichen Leiden und Krankheiten. „Von diesen verkauft Onkel Berthold am meisten“, sagte die Großmutter. „Seht, er schüttet die Büchse schon wieder voll“. Klein Anna zupfte die Großmutter schon ungeduldig an der Schürze. Die Zeit war so kurz, es gab doch noch so viel zu sehen. Doch die Großmutter wollte noch etwas verweilen. Sie beobachtete misstrauisch einen Mann, der neben ihrem Sohn seinen Stand hatte. Es war „Sasse“, der im Geheimen ihrem Sohn seine Künste abgelauscht hatte und nun auch „dokterte“. Mit hochrotem Gesicht versuchte er den Lärm mit folgenden Worten zu übertönen: „Den Wurm, den Wurm ich packen kann, er greift so viele Zähne an. Kommt her zu mir, ich zieh ihn keck, dann sind die Schmerzen alle weg.“ „Großmutter“, rief Otto, „der schreit ja wie ein Zahnbrecher“. „Junge, das ist auch einer“, erwiderte die Großmutter, „wir werden gleich sehen, wie er sein Handwerk versteht“. Da schob sich auch schon ein biederes Bäuerlein mit dickgeschwollenem Gesicht, das ein knallrotes Tuch einrahmte, durch die Menge und nahm auf dem bereitgestellten Schemel Platz. Der „Zahnbrecher“ nahm seinen Schlüssel und führte ihn in den Mund des Leidenden. Aber so leicht ließ sich der feste Zahn nicht entfernen. Mit jämmerlichem Geschrei musste der arme Mann erst mehrere Meter hinter dem gefühllosen Zahnbrecher herlaufen. Endlich ein Ruck und der Zahn war raus! Aber oh weh! Der Zahnbrecher hatte den falschen Zahn gezogen und musste es sich nun gefallen lassen, von den Umstehenden tüchtig ausgelacht zu werden. Die Kinder und die Großmutter besichtigten daraufhin Buden und Schautische ringsherum. Am Rathaus hatten die Tuchmacher, Gewandschneider, Bandkramer, Wollhändler und Leineweber ihre Stoffe ausgebreitet. Während sie noch da standen, fragte die kleine Anna: „Großmutter, was sind denn das für Männer, die da von Bude zu Bude gehen?“ Die Großmutter antwortete: „Der Vorangehende mit der großen Tasche ist der Marktmeister, dem die Kaufleute das Platzgeld bezahlen müssen. Je nach Bude haben sie 6, 8 oder 10 Pfennige zu bezahlen. Außerdem muss der Marktschreier die Ware besichtigen. Mit Hilfe eines Zunftmeisters prüft er z.B. die Goldwaren auf ihre Richtigkeit, Tuche auf ihre Haltbarkeit, Brote auf ihr Gewicht usw.“

Plötzlich ertönte großes Geschrei vom Verkaufsstand der Fleischer. Ein fremder Mann war beim Stehlen einer Wurst ertappt worden. Der Stadtknecht nahm ihn beim Kragen und führte ihn unter dem Geschrei der Menge zum Rathaus, wo auch das Stockhaus war. Dort verbüßten schon zwei betrügerische Geschäftsleute ihre Strafe. Ihre Hände und Füße waren in Holzplanken eingespannt. Die Gefangenen mussten es sich gefallen lassen, von den Umstehenden ausgelacht und angespuckt zu werden. „Strafe muss sein“, sagte die Großmutter, „damit der Markt seinen guten Ruf behält!“. Klein Annas Augen wurden immer größer, als sie jetzt an den Ständen der fremden Kaufleute vorüberkamen. Da gab es Tuche aus Zwickau, Seide aus Mailand, Schnallen aus Venedig, bunte Seidenbänder und Tücher. An einem Stand blieb die Großmutter länger stehen. Sie wollte ihrer Enkeltochter etwas Besonderes kaufen, ein Paar Ohrringe. Anna jubelte, tanzte und sprang und drückte der lieben Großmutter immer wieder die Hände.

Als sie sich umwandten, erscholl von der Rathaustreppe laute Musik. Fremde Künstler, „fahrendes Volk“ genannt, wollten die Marktbesucher belustigen. Da zeigte einer seine Künste im Handstand, ein anderer schlug Purzelbaum, ein dritter verschluckte sogar einen Degen. An den Verkaufsständen der Bäcker erstanden Otto und Anna für ihr Geld einige Brezeln, die sie den Eltern und dem kleinen Bruder zu Hause mitbringen wollten. Am Ratskeller begegneten sie dem jungen Bauern, der die Kinder wieder mit nach Hause nehmen wollte. Die „Kräuterfrau“ hatte ihn lange Jahre nicht gesehen und hätte ihn auch nicht wiedererkannt, wenn er sie nicht angesprochen hätte. Sie kannte ihn nur noch als den kleinen Jungen, der früher so oft zu ihr kam und „Bauchwehpflaster“ holte. „Kommt nur noch ein Weilchen mit in den Ratskeller, Großmutter“, sagte er.

„Die Kinder können hier noch viel sehen und euch wird ein Krug Mumme (Bier) auch gut schmecken.“ Nach einigem Zögern ließ sich die alte Frau dazu bewegen mitzugehen. Hinten in der Ecke setzten sie sich auf eine Bank nieder. An den großen blankgescheuerten Tischen saßen Bürger, Bauern, fremde Kaufleute und Fuhrknechte. Sie tranken ihr Bier und schauten staunend auf einen Mann, der hier wunderbare Kunststücke vorführte. Er bat den kleinen Otto, ihm ein wenig dabei behilflich zu sein. Wie staunten Alt und Jung, als der Junge ein Ei nach dem anderen aus dem großen Hut des Künstlers herausnahm! Noch viele andere Dinge führte er den Leuten vor. So etwas hatte man in Egeln noch nicht gesehen. Der Mann schien „mit dem Teufel im Bunde“ zu stehen! In Wirklichkeit war er nur ein geschickter Taschenspieler. Noch stundenlang hätten die Kinder dem Gaukler zusehen können, doch eben kam der junge Pferdeknecht wieder herein. Er hatte die Pferde wieder angespannt und wollte die Kinder abholen. Nun ging es los! Die Großmutter nahm herzlich Abschied von den Kleinen und lud sie ein, recht bald wiederzukommen. Der Pferdeknecht knallte mit der Peitsche und im Galopp sprengten die Pferde zum Halberstädter Tor hinaus, dem Heimatdorf zu.

Von Hans Grube