Zur räumlichen Beschreibung der Situation im Frühjahr 1945 sollte die politische Gaueinteilung beachtet werden. Unser Gebiet gehörte zum NSDAP-Gau Magdeburg-Anhalt und unterstand dem damaligen Gauleiter Jordan, dessen direkter Einfluss sich über die Kreise mit den Kreisleitungen und die Städte mit den Ortsgruppenleitern fortsetzte. Anfangs war die Staatspartei (NSDAP) darum bemüht, die Trennung zwischen den Kommunalverwaltungen und der Parteibürokratie einzuhalten. Als sich im Frühjahr 1945 die Kriegsprobleme dramatisch zuspitzten, ordneten die Parteiorgane die "Zivile Verteidigung" an und stellten aus der noch verbliebenen männlichen Bevölkerung die "Volkssturmkompanien und -bataillone" auf. Die Volkssturmeinheiten wurden ausschließlich von den Organen der Partei geführt. Für die politisch angespannte Situation damals war es bemerkenswert, dass diese Einheiten nur sehr mangelhaft von der Wehrmacht mit Waffen und Munition versorgt wurden und den Befehlshabern der Partei unterstellt waren. Die Organe der Partei bestimmten über das Schicksal der Bevölkerung in den frontnahen Gebieten und ordneten beispielsweise auch die Errichtung von Verteidigungsstellungen, wie Straßensperren, an.
Im Verlauf des Krieges setzte besonders in unserem Gebiet eine lange und bedeutungsvolle Bevölkerungsbewegung ein; zuerst kamen 1935 die Saarländer, vorsorglich wegen der "Volksabstimmung" evakuiert, dann kamen 1941/42 viele Frauen mit Kindern aus den bombenbedrohten Gebieten am Rhein und an der Ruhr, was sich bis 1943 durch den Zuzug unzähliger Evakuierter fortsetzte. Dazu kamen viele Schulklassen mit ihren Lehrern aus den luftbedrohten Städten aufs bis dahin verschont gebliebene flache Land, um dort in den "Kinderlandverschickungslagern" untergebracht zu werden. In den Jahren 1942-43 kam es zu starken Zuwanderungen von ausländischen Zivilarbeitern, die entweder aus ihrer Heimat deportiert oder über die Arbeitsämter angeworben waren. Diese Arbeitskräfte, Männer, Frauen und ganze Familien lebten in Barackenlagern, in Notunterkünften oder waren bei den Bauern untergebracht, wo sie sich sehr bescheiden, aber frei bewegen durften.
Es wurde jedoch unterschieden und teilweise auch gekennzeichnet: die "Ostarbeiter" aus der Ukraine und Russland trugen an der Oberbekleidung ein großes "OST", die Polen ein "P" usw. Die immer stärkeren Bombardements auf die Industriegebiete machten auch die Verlagerung mancher Betriebe in unsere engere Heimat erforderlich. In Egeln zeigte sich das dadurch, dass gegenüber dem Bahnhof eine Dreherei und Maschinenfabrik Butzmühlen aus dem Rheinland angesiedelt wurde. In dem Zeichensaal und einigen weiteren Räumen der damaligen Aufbauschule war ein Konstruktionsbüro untergebracht. In der alten Maschinenfabrik von van Außem entstand die Herstellung von Industrieöfen, wo auch als wertvolles Füllprogramm die kleinen "Kochhexen" für die fatalen Bedürfnisse unserer hilfsbedürftigen Flüchtlinge hergestellt wurden. Zwischen Egeln und Tarthun gab es in der Schachtanlage (ehemals auf Salz abgeteuft) des Schachtes IV eine unterirdische Montage für Flugzeugteile. Hierbei mussten neben deutschen Spezialisten viele KZ-Häftlinge, die eigentlich zum Lager Dora bei Nordhausen gehörten und in einem kleinen Barackenlager gegenüber dem Schacht an der Bahn untergebracht waren, bei der Fertigstellung helfen.
Augenzeugen berichten, dass die armen Menschen täglich auf Holzpantoffeln nach Egeln zur Molkerei laufen mussten, um dort die Milch usw. für ihre Verpflegung abzuholen. So mancher Egelner Bürger hatte den Mut, ihnen auch noch eine Scheibe Brot zuzustecken!
In der 14. Zuteilungswoche (April 1945) erhielt die deutsche Zivilbevölkerung auf Lebensmittelkarten folgende Rationen pro Woche:
- **Brot**: Kinder bis zu 6 Jahren 1000 g, Jugendliche bis zu 18 Jahren 2000 g, alle Anderen 1700 g, Zulage für Schwerarbeiter 1100 g, Zulage für Schwerstarbeiter 1600 g.
- **Fleisch**: Kinder bis zu 6 Jahren 100 g, Jugendliche bis zu 18 Jahren 300 g, alle Anderen 250 g, Zulage für Schwerarbeiter 350 g, Zulage für Schwerstarbeiter 600 g.
- **Fett**: Kinder bis zu 6 Jahren 125 g, Jugendliche bis zu 18 Jahren 208 g, alle Anderen 125 g, Zulage für Schwerarbeiter 57 g, Zulage für Schwerstarbeiter 207 g.
- **Nährmittel** (Graupen, Nudeln usw.) für alle 225 g.
- **Zucker** (oder die doppelte Menge Marmelade) 125 g.
- **Käse** für alle 21 g.
- **Quark** für alle 42 g.
- **Kaffee-Ersatz** für alle 33 g.
- **Kunsthonig**: Kinder bis zu 6 Jahren 42 g.
- **Kinder-Stärkemehl**: Kinder bis zu 6 Jahren 83 g.
In der Zeit der katastrophalen militärischen Verhältnisse gab es Ende März 1945 keine bewegliche und schlagkräftige deutsche Armee mehr. Um noch etwas zu retten, wurden in dieser Zeit die Jugendlichen des Jahrgangs 1929 zu den Waffen gerufen. Um den 6. April 1945 wurde die Harzstadt Blankenburg zum Hauptquartier des "Oberbefehlshabers West" unter Generalfeldmarschall Kesselring. Von der noch existierenden militärisch-politischen Führung gab es am 7. und 8. April 1945 unter anderem den folgenden Bericht zur Lage:
"…Einen klaren Kopf und ruhig Blut bewahren! Alles tun, was dem weiteren Vordringen der Panzerspitzen schadet. Im Übrigen müssen wir in den nächsten Tagen die Auswirkungen der Gegenmaßnahmen unserer militärischen Führung abwarten. Verfallt nicht dem Panzerschreck! Einige Panzer erobern keine Provinzen: Panzersprengkommandos und schnell herbeigeführte Truppenteile werden für die Vernichtung der durchgebrochenen Feindpanzer sorgen. Wer aber feige die Nerven verliert und die weiße Fahne hisst, der wird des Todes sein!"
Während am 11. April 1945 bei Bad Grund die Einheiten des Generalmajors Görbig in Gefangenschaft gerieten, erreichten die amerikanischen Truppen starke Geländegewinne von über 30 km pro Tag, unter Umgehung der "Festung Harz". So hatte die 329. Infanterie-Division um den 11. April 1945 die Aufgabe, über Goslar, Bad Harzburg, Vienenburg, Wernigerode, Halberstadt und Egeln (12. April 1945) schnellstmöglich die Elbe zu erreichen, um bei Barby einen Brückenkopf zu errichten, was den Amerikanern schon am Abend des 12. April 1945 gelang.
Am 12. April 1945 richtete sich die Stoßrichtung der 9. US-Armee mit der 329. Infanterie-Division gegen Wittenberge, Stendal, Magdeburg und Barby. Während am 12. April 1945 die Städte Stendal und Barby kampflos übergeben wurden, erlebten die amerikanischen Truppen, welche am Vormittag des 12. April 1945 die Stadt Egeln besetzt hatten, vor Magdeburg erheblichen Widerstand. Der SS-Brigadeführer Boleck hatte für Magdeburg die "Verteidigungsbereitschaft" angeordnet und die Übergabe der Stadt an die amerikanischen Parlamentäre abgelehnt.
Erst nach Bombardements und harten Kämpfen wurde Magdeburg, bis an die Elbe, am 18. April 1945 eingenommen. Auf dem Ostufer der Elbe wurde noch bis zum 1. Mai 1945 gekämpft. Um die Entwicklung zur totalen Niederlage aufzuhalten, erließ der Reichsführer der SS, Himmler, Anordnungen, welche den äußersten Widerstand mobilisieren sollten. Dabei wurde auch der "Retter von Wernigerode", Oberst Petri, erschossen, weil er die Stadt kampflos übergeben hatte. In Himmlers Erlass vom 12. April 1945 hieß es unter anderem:
"Der Feind versucht es, durch Irreführung deutsche Orte zur Übergabe zu veranlassen… Diese Kriegslist verfehlt aber ihr Ziel. Jedes Dorf und jede Stadt wird mit allen Mitteln verteidigt und gehalten. Jeder im Ort verantwortliche Mann, der gegen diese selbstverständliche Pflicht verstößt, verliert Ehre und Leben!"
Vom Ortschronisten - Hans Grube