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Zusammen für Egeln

Die Situation der Stadt im Frühjahr 1945

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Egelner im "Volkssturm-Bataillon-Anhalt"

Am 25. Januar 1945 wurde in der Nacht der Gestellungsbefehl für einen Volkssturm-Einsatz von der NSDAP-Kreisleitung Wanzleben übergeben. Die Betroffenen waren ältere Männer, frühere Verwundete sowie unabkömmlich gestellte Spezialisten der Industrie.

Aus Egeln und der näheren Umgebung waren es etwa 35 Männer, die sich um 11.00 Uhr auf dem Egelner Marktplatz einfinden mussten, um mit zwei Bussen abtransportiert zu werden. Die Fahrt ging nach Quedlinburg, wo das "Volkssturmbataillon-Anhalt" für eine angeblich zweiwöchige "Wehrdienstübung" beim 1. Bataillon des Infanterieregiments 2 einberufen wurde. Es war grimmig kalt, die Kasernen waren nur in einigen "wichtigen" Räumen geheizt. Die "Stuben" der neuen Soldaten blieben kalt, ebenso waren die Toiletten in einem katastrophalen Zustand.

Als Bekleidung wurden verschlissene Uniformen verteilt, bei der Unterwäsche waren teilweise Spuren von früheren Verwundungen festzustellen. Die Ausrüstung mit Waffen war sehr mangelhaft, es gab neben alten Infanteriegewehren K 98 (wohl noch aus Beständen der früheren Reichswehr) nur Jagdgewehre. Die Munition war knapp und teilweise unpassend.

Am dritten Tag wurde auf dem Kasernenhof von hochrangigen Parteiführern eine große Kundgebung veranstaltet, bei der der Gauleiter der NSDAP, Rudolf Jordan aus Dessau, bei lauter Marschmusik kräftige Durchhalteparolen verkündete.

Ohne besondere Ausbildung sollten diese Männer in den Krieg ziehen! Mit klingendem Spiel und wehenden Fahnen marschierten die 600 Soldaten zum Bahnhof, wo sie mit Pferden und Wagen verladen wurden, um in den Kampf um Berlin "einzugreifen". Die Städte Deutsch-Krone, Arnswalde und Stargard in Pommern waren die letzten Orte ihrer Einsätze, bevor alles im Chaos unterging. So geschah es auch, dass die Männer aus Egeln am 5. März 1945 in russische Gefangenschaft gerieten. Aus Egeln mussten noch sieben Männer in den Krieg ziehen, obwohl jeder wusste, dass der Einsatz total sinnlos war.

Von den Männern Otto Karpe, Karl Schneider, Paul Westphal, Paul Wiechmann, Alfred Steingrüber, Willi Strohmeier und Ludwig Grau kam Letzterer am 2. Juli 1948 aus der Gefangenschaft in Minsk und Woroschilowgrad wieder nach Hause zurück.

Ab Februar 1945 mussten alle beschlagnahmten Wohnräume für die Evakuierten aus den Ostgebieten freigemacht werden. Als die amerikanischen Truppen am 8. April 1945 die Leine überschritten, sollte die "Festung Harz" dem Krieg noch eine Wende bringen. Doch die ersten großen Bombenangriffe auf Wernigerode, Nordhausen und Halberstadt ließen den ganzen Wahnsinn und die Aussichtslosigkeit erkennen. Es wurden die unsinnigsten Gerüchte und Durchhalteparolen durch die Parteileitung verbreitet.

Zur Erinnerung ein Beispiel eines Aufrufes einer Kreisleitung: "Im Zusammenhang mit der Feindannäherung schwirren in der Stadt und dem Kreis die unsinnigsten Gerüchte herum. Es ist uns allen klar, dass wir in den entscheidenden Stunden unseres Ringens um die Freiheit stehen... Über die Ziele des Feindes sind wir uns völlig klar: Er will unser Reich vernichten und unsere Bevölkerung ausrotten! ...So, wie im ganzen Gau, so werden wir ihm auch hier entgegentreten... Mit Entschlossenheit bauen die Männer unseres "Volkssturms" gemeinsam mit den Männern der "Wehrmacht" überall Sperren... und werden dem Feind entgegentreten. Wer gegen die Befehle und Anordnungen verstößt, muss damit rechnen, dass ihn rücksichtslos die härtesten Strafen treffen. Mit Feiglingen und Deserteuren wird genauso verfahren wie mit Plünderern!"

Die Menschen saßen heimlich an den Rundfunkgeräten und horchten auf die Meldungen der Engländer und Amerikaner, obwohl dieses Abhören streng verboten war und sehr hohe Strafen darauf standen.

Besonders katastrophale Verhältnisse entstanden bei der Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung. In der 14. Zuteilungswoche (April 1945) erhielt die deutsche Zivilbevölkerung auf Lebensmittelkarten folgende Rationen pro Woche:

- **Brot**: Kinder bis zu 6 Jahren 1000 g, Jugendliche bis zu 18 Jahren 2000 g, alle Anderen 1700 g, Zulage für Schwerarbeiter 1100 g, Zulage für Schwerstarbeiter 1600 g.

- **Fleisch**: Kinder bis zu 6 Jahren 100 g, Jugendliche bis zu 18 Jahren 300 g, alle Anderen 250 g, Zulage für Schwerarbeiter 350 g, Zulage für Schwerstarbeiter 600 g.

- **Fett**: Kinder bis zu 6 Jahren 125 g, Jugendliche bis zu 18 Jahren 208 g, alle Anderen 125 g, Zulage für Schwerarbeiter 57 g, Zulage für Schwerstarbeiter 207 g.

- **Nährmittel** (Graupen, Nudeln usw.): für alle 225 g.

- **Zucker** (oder die doppelte Menge Marmelade): 125 g.

- **Käse**: für alle 21 g.

- **Quark**: für alle 42 g.

- **Kaffee-Ersatz**: für alle 33 g.

- **Kunsthonig**: Kinder bis zu 6 Jahren 42 g.

- **Kinder-Stärkemehl**: Kinder bis zu 6 Jahren 83 g.

In der Zeit der katastrophalen Verhältnisse gab es Ende März 1945 keine bewegliche und schlagkräftige deutsche Armee mehr. Um noch etwas zu retten, wurden in dieser Zeit die Jugendlichen des Jahrgangs 1929 zu den Waffen gerufen. Um den 6. April 1945 wurde die Harzstadt Blankenburg zum Hauptquartier des "Oberbefehlshabers West" unter Generalfeldmarschall Kesselring.

Von der noch existierenden militärisch-politischen Führung gab es am 7. und 8. April 1945 unter anderem den folgenden Bericht zur Lage: "Einen klaren Kopf und ruhig Blut bewahren! Alles tun, was dem weiteren Vordringen der Panzerspitzen schadet. Im Übrigen müssen wir in den nächsten Tagen die Auswirkungen der Gegenmaßnahmen unserer militärischen Führung abwarten. Verfallt nicht dem Panzerschreck! Einige Panzer erobern keine Provinzen: Panzersprengkommandos und schnell herbeigeführte Truppenteile werden für die Vernichtung der durchgebrochenen Feindpanzer sorgen. Wer aber feige die Nerven verliert und die weiße Fahne hisst, der wird des Todes sein!"

Während am 11. April 1945 bei Bad Grund die Einheiten des Generalmajors Görbig in Gefangenschaft gerieten, erreichten die amerikanischen Truppen starke Geländegewinne von über 30 km pro Tag, unter Umgehung der "Festung Harz". So hatte die 329. Infanterie-Division um den 11. April 1945 die Aufgabe, über Goslar, Bad Harzburg, Vienenburg, Wernigerode, Halberstadt (11. April 1945) und Egeln (12. April 1945) schnellstmöglich die Elbe zu erreichen, um bei Barby einen Brückenkopf zu errichten, was den Amerikanern schon am Abend des 12. April 1945 gelang.

Vom Ortschronisten - Hans Grube